Erst der Inhalt, dann der Standort
Stück für Stück fügte sich das Bild zusammen. Was die begabte Zeichnerin beim Stadtforum „Musik-Campus“ zu Papier brachte, war große Kunst, bunt und vielfältig. Eben genau das, was auch der Musik-Campus sein soll. Graphic Recording nennt sich diese Art eines visuellen Protokolls – es zeigte, was zuvor in Impulsvorträgen und Debatten erarbeitet worden war. Das große Bild, das am Ende des Abends an der Wand hing, macht den über 200 Teilnehmern im vollbesetzten Bühnensaal in der Aula am Aasee deutlich: Beim Projekt Musik-Campus sollte es nicht zuerst um den Standort gehen, sondern um die Inhalte …
Vertreter der Anker-Nutzer (Musikhochschule der Universität/MHS, Westfälische Schule für Musik/WSfM, Sinfonieorchester), der Freien Szene und zahlreiche externe Gäste traten unter der Moderation von Prof. Klaus Selle an, um ihre Vorstellungen zu formulieren. Auch rund 130 interessierte Bürger nahmen das Angebot zur Teilnahme an, einige von ihnen waren bereits einiger Tage zuvor bei Workshops aktiv gewesen.
Der Rektor der Universität Münster, Prof. Dr. Johannes Wessels, stellte die Besonderheit des Konzepts in den Mittelpunkt seiner Einführung – einen Ort zu schaffen, an dem sich Musiker sparten- und generationsübergreifend treffen, lernen, studieren, proben und voneinander profitieren. „Es ist ähnlich wie im Sport: Das Miteinander von Nachwuchs, Laien und Profis ermöglicht Erfolge. Erst kommt das Konzept und dann der Standort.“ Oberbürgermeister Markus Lewe betonte, dass der geplante Musik-Campus ein Symbol „für die die Stadt von übermorgen“ sei. Er verglich das Projekt in seiner Bedeutung mit dem Theater Münster und der Stadtbibliothek als den einzigen Kultur-Großbauten der letzten 70 Jahre.
Eine Blaupause für ganz Europa
Wie beurteilen Gäste, die von außen kommen, die Pläne? Der Generalsekretär des Deutschen Musikrats, Christian Höppner, zeigte sich „absolut begeistert“ von dem Konzept. Er wünschte sich mehr Politiker in Deutschland, die mit solcher Überzeugung für die Kultur argumentieren würden, betonte er. Er appellierte an die Öffentlichkeit, etwaige Bedenken hintenan zu stellen und das gemeinsame Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. „Denn sonst passiert gar nichts“, unterstrich er. Er schilderte, wie wichtig die Rolle der Musik in einer immer weiter erodierenden Gesellschaft sei und welche glückliche Situation sich gerade durch die großzügige Förderbereitschaft der Landesregierung ergebe. „Die Zeit zum Handeln ist gekommen. Nutzen Sie diese Jahrhundert-Chance“, rief er den Gästen zu. „Der Musik-Campus kann sich zu einer Blaupause für Städte in ganz Europa entwickeln.“
„Die Zeit zum Handeln ist jetzt!“
Generalmusikdirektor Golo Berg für das Sinfonieorchester, der Prodekan der Musikhochschule, Prof. Stephan Froleyks, und die Leiterin der Musikschule, Friedrun Vollmer, unterstrichen ihren jeweiligen Bedarf nach mehr Räumen und einer besseren Akustik. Golo Berg stellte „inspirierende Begegnungen der Musiker“ in Aussicht, Stephan Froleyks betonte die Vorzüge eines international geprägten Campus‘, der von viel Grün umgeben sei und auch für Nicht-Musiker ein attraktiver Ort der Begegnung sein könnte. Friedrun Vollmer nutzte die Gelegenheit, um deutlich zu machen, dass auch ein Musik-Campus nichts an der dezentralen Struktur der Musikschule ändern würde. „Die Musikschule wird in den Stadtteilen präsent bleiben“, sagte sie.
Kulturamtsleiterin Frauke Schnell schilderte den Bedarf und die Wünsche der rund 1000 freien Musik-Akteure in Münster. Eine der wesentlichen Fragen sei dabei das Zugriffsrecht für die Räume auf einem Musik-Campus. Wer würde also über die Belegungen und Probe-Zeiträume auf einem Musik-Campus entscheiden?
Auf dem Weg zum Kultur-Quartier
Ulrich Krüger und Stefan Rethfeld nutzten als Vertreter der Initiative „Schloss Platz Kultur 2020“ die Chance, ihre Alternativ-Pläne zu präsentieren. Sie plädierten für eine attraktive Aufwertung des gesamten Areals rund um das Schloss – vom Kalkmarkt, dem sogenannten Lindenhof-Gelände bis hin zum Universitäts-Parkplatz gegenüber des Amtsgerichts.
Dass die Positionen der Befürworter des Standorts Hittorfstraße und des Standorts Schlossplatz vielleicht gar nicht so weit auseinanderliegen, wurde bei den städtebaulichen Betrachtungen klar. Stadtbaurat Robin Denstorff wies darauf hin, dass es zwischen der Altstadt und den zahlreichen Universitäts-Gebäuden rund um das Coesfelder Kreuz („urbanes Wissensquartier“) keinen „Brückenschlag“ gebe. Genau diese Funktion könnte der Musik-Campus in der Hittorfstraße übernehmen. Er plädierte dafür, bei diesen Überlegungen auch die mögliche Entwicklung eines neuen Quartiers zu berücksichtigen, beispielsweise über neue Angebote in der Gastronomie und beim Einzelhandel. Ein Teilnehmer erinnerte in diesem Zusammenhang an die Entwicklung des Germania-Campus‘, der sich auf ähnliche Weise mittlerweile zu einem belebten Stadtteilzentrum entwickelt habe. Zudem gebe es zwischen dem Kreuzviertel und Gievenbeck nichts Vergleichbares.
Zeitfenster nutzen
In einer Plenumspräsentation kamen auch andere Dinge zur Sprache. Die Teilnehmer einer Arbeitsgruppe betonten, dass die von der Universität geplante Nutzung des Musik-Campus‘ als Tagungszentrum Chancen für ganz Münster biete, gleichzeitig aber die Architekten eines Musik-Campus‘ vor die schwierige Aufgabe stellen würde, ein Nebeneinander zahlreicher Akteure zu planen. Während in einem Gebäudeteil, so das Zukunfts-Szenario, junge Schüler sich an ihren ersten Noten versuchten, müsste gleich nebenan zur Eröffnung eines Kongresses Ruhe einkehren. All dies müsse berücksichtigt und baulich intelligent umgesetzt werden.
„Architekten, hört auf die Nutzer!“
Stephan Froleyks appellierte in diesem Zusammenhang an die künftigen Planer: „Architekten, hört auf die Nutzer! Die Form muss der Funktion folgen.“ Gleichwohl wünsche man sich natürlich ein architektonisches Highlight. Ein Diskussionspunkt waren auch die Kosten, die bislang auf rund 200 Millionen Euro geschätzt werden. Darin eingeschlossen sind allerdings bereits die geschätzt rund 80 Millionen Euro, die das Land Nordrhein-Westfalen der Universität ohnehin für den notwendigen Neubau der Musikhochschule zur Verfügung stellen wird. Der Rat der Stadt Münster hat zudem 45 Millionen Euro in Aussicht gestellt. In Kürze werden Stadt und Universität weitere Vertreter von Politik und Gesellschaft zu einer Konferenz einladen, auf der die mögliche Finanzierung besprochen werden soll.
Der eine oder andere Teilnehmer äußerte die Befürchtung, dass hohe Baukosten zu hohen Raummieten für freie Akteuren führen könnten. Das gelte es ebenso wie einen Kahlschlag bei der bisherigen Kulturförderung zu verhindern. Kulturdezernentin Cornelia Wilkens verwies auf den Ratsbeschluss, der Letztgenanntes ausschließt – zu etwaigen Raummieten liegen naturgemäß bislang noch keine Schätzungen vor.
„Musik-Campus machen!“
Johannes Wessels und Markus Lewe verabschiedeten die Gäste mit einem gemeinsamen Appell. „Wir müssen eine Musikhochschule bauen. Und wir bieten nach wie vor der Stadt an, dieses Projekt um die Musikschule und das Sinfonieorchester zu erweitern. Wir sind davon überzeugt, dass es für uns alle die bestmögliche Lösung ist.“, sagte der Rektor. Der Zeitpunkt sei nicht zuletzt deswegen günstig, weil die amtierende nordrhein-westfälische Ministerin für Kultur und Wissenschaft, Isabel Pfeiffer-Poensgen, dem Projekt sehr aufgeschlossen gegenüberstehe. Markus Lewe erinnerte daran, dass solch „historische Zeitfenster“ meist nur kurz geöffnet seien. Der Appell deckte sich mit dem Wunsch, der auf einem Zettel an der Arbeitswand des Publikums hing. Darauf stand: „Musik-Campus machen!“